Mobilität

Einzelhandel und Auto-Mobilität

Onlinehandel und Energiekrise lassen Umsätze sinken, auch beim Bonner Einzelhandel. Warum der General-Anzeiger den Mythos der mit dem Auto schwer erreichbaren Innenstadt auspackt, weiß nur er selbst. Eine Umfrage wird zweckentfremdet für eine Erzählung über handelsfeindliche Verkehrsplanung.

Obwohl der Onlinehandel enorm wächst (auf zu erwartende 100 Mrd. Euro Umsatz, vor Corona waren es noch 60 Milliarden!), reicht das der IHK Bonn offenbar als Erklärung für die sinkenden Umsätze in Bonn nicht aus. Der Verkehrssektor spiele eine „entscheidende Rolle“. Diese Einschätzung der IHK ist interessant, findet sich doch im „HDE Online-Monitor 2022“, der auch vom GA genannt wird, kein Hinweis darauf, dass Verkehr ein wichtiger Faktor sein könnte.

Der GA weiter: „Viele Menschen meiden weiterhin belebte Orte, und auch die Innenstädte werden für Pkw-Fahrer immer schwerer erreichbar“, sagt IHK-Handelsreferent Till Bornstedt und nennt damit zwei mögliche Gründe [für sinkende Einzelhandelsumsätze].
Und jetzt wird es spannend: Wie kommt die IHK zu dieser Schlussfolgerung? Offenbar ist eine Umfrage des Bonner Citymarketings die Quelle. Dafür wurden 1.812 Kundinnen und Kunden beim Einkauf im Geschäft befragt. 46% der Befragten kamen demnach mit dem Auto in die Innenstadt, 16% zu Fuß, 12% mit dem Fahrrad und 26% mit Bus&Bahn. Der GA zitiert die Umfrage mit „allerdings würden 54% des Umsatzes durch Pkw-Fahrer erzeugt und lediglich 13% durch Fußgänger*innen, 8% durch Radfahrende und 25% durch ÖPNV-Nutzende.“ Immerhin gesteht der GA zu, dass Frequenzeffekte in der Umfrage nicht berücksichtigt wurden. So könnte es sein, dass Autofahrende seltener in die Innenstadt kommen und bei einem einzelnen Einkauf mehr Umsatz generieren, Menschen zu Fuß und mit dem Fahrrad dafür öfter kommen. Der ganze Artikel ist im Online-Portal des Geaneral-Anzeigers zu finden.


Leider geht der Artikel nicht darauf ein, in welchem Zeitraum die Befragung stattfand, wie viele stationäre Geschäfte daran teilgenommen haben, welche Warenkategorien diese führen und wie viele der befragten Kunden in welchem Geschäft eingekauft haben. Schließlich ist es ein Unterschied, ob vor allem Kunden eines Haushaltswarengeschäftes die Umfrage beantwortet haben, oder ob sich darin der Querschnitt des Bonner Einzelhandels widerspiegelt – ganz abgesehen davon, ob die Umfrage repräsentativ für die Bonner*innen ist.

Aber das eigentlich Wichtige dabei ist, dass die Umfrage – völlig unabhängig von den Ergebnissen! – ÜBERHAUPT KEINEN Bezug dazu hat, ob Kund*innen mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln weniger, mehr oder genauso viel einkaufen wie im letzten Jahr. Einen Zusammenhang zu sinkenden Umsätzen in Bonn und „dem Verkehrssektor“ herzustellen, ist daher methodisch unsauber und eher ins Reich der Mythen und Sagen einzuordnen als mit Fakten zu belegen. Und damit haben noch nicht einmal die Frage diskutiert, ob tatsächlich „die Innenstädte für Pkw-Fahrende schwerer erreichbar werden“. Das ist eine Diskussion für sich, bei der dann auch thematisiert werden könnte, ob es unzumutbar ist, dass zumindest ein Teil der heutigen Pkw-Nutzenden für Fahrten in die Innenstadt auf andere Verkehrsmittel umsteigen, oder Park&Ride-Angebote nutzen könnte.

Eine weitere Frage, die uns beschäftigt ist auch: Können wirklich die wenigen Maßnahmen, die in Bonn zur Stärkung des Radverkehrs und ÖPNVs bisher umgesetzt wurden, so massiv wie manchmal dargestellt die „Erreichbarkeit“ der Innenstadt beeinträchtigen? Niemandem ist es verboten, mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren. Sicher, die Anzahl der Parkplätze im öffentlichen Raum soll reduziert werden und es wird teurer als früher, dort zu parken. In den Parkhäusern ist aber weiterhin genügend Platz, und es ist auch günstiger, das Auto dort abzustellen.

Eher als für Autofahrende wäre es aus unserer Sicht erforderlich, die Erreichbarkeit für Radfahrende zu verbessern. Wie zum Beispiel an der Diskussion zur Friedrichstraße versus Bertha-von-Suttner-Platz, von denen keine für Radfahrende optimal ist, gibt es noch ein sehr großes Potenzial, die Infrastruktur für Radfahrende zu verbessern. Vor allem mangelt es an durchgängigen Radrouten, die auch unsicheren Radfahrenden einen Weg durch Bonn ohne Konflikte mit dem motorisierten Verkehr ermöglichen.
Wir würden uns wünschen, dass die Diskussion um die Erreichbarkeit der Innenstadt und Auswirkungen auf den Einzelhandel zukünftig sachlicher und faktenbasierter geführt wird. Wir lassen das mal so auf unserem Wunschzettel stehen.

geschrieben von Sonja

5 Kommentare

  • Anonymous sagt:

    Ich wohne außerhalb von Bonn, Fahrrad und zu Fuß sind daher keine Option. Der ÖPNV bei der gegebenen Taktung, die eher ständig schlechter wird statt besser, dafür aber immer teurer, aber leider auch nicht. Also bleibt nur das Auto. Parkhauspreise hin oder her, immer noch günstiger als ÖPNV, aber bei sich ständig ändernder experimenteller Verkehrsführung und dadurch letztendlich auch noch längeren Strecken (plus Stau), überlegt man sich auch das inzwischen nicht nur zwei- sondern auch dreimal …
    Oder fährt eben gar nicht mehr in die Stadt!
    Bevor man den Autoverkehr zu Gunsten des Fahrrads lahmlegt, müssen die Alternativen sichergestellt sein, d.h. Sicherung und Verbesserung des ÖPNV in die Innenstadt auch aus dem Umland. DANN kann man auch den Rest angehen.
    Ich kann die vermeintliche Hypothese, dass die innerstädtischen Verkehrsänderungen potentielle Kunden von einem Besuch abschrecken, jedenfalls aus erster Hand bestätigen.

    • Anonymous sagt:

      Sie sind also der Meinung, dass sich die Stadt nicht an den eigenen Bewohnern orientieren soll, sondern an den Besuchern? Welche experimenteller meine Sie? Die am Rheinufer? Stimmt, der Abschnitt ist existentiell für die Anfahrt in die Innenstadt /Ironie. Alles übrige war aufgrund von Baustellen, soweit zumindest mein Wissen. Hat also rein gar nichts mit, der mehr als verhaltenen Herangehensweise, der Stadt bzgl. der Mobilitätswende zu tun.

  • Sigi Casper sagt:

    Das ist sehr gut, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, die wirklichen Fakten zu sehen und nicht den veralteten Meinungen ewiggestrig argumentierender Funktionäre bestimmter Verbände in Bonn hinterherlaufen, wie das ja leider auch als Meinungsmache im dominierenden Printmedium Bonns passiert. Für Autofahrer wurde ein neues großes Parkhaus an der Nordseite des Bahnhofs gebaut, trotzdem wird weiter gemault. Ich fahre aber auch lieber mit dem Fahrrad in die Innenstadt, auch weil ich dann direkt da hinkommen kann, wo ich hin will. Mutige Geschäftsleute können übrigens auch die Bonner City attraktiver machen, wie deren Erfolg in der Friedrichstraße beweist. Da bin ich übrigens bislang auch immer gut mit dem Rad durchgekommen, man muss da ja nicht mit Tempo durch. Die Oxfordstraßenradwege sind auch ein echter Gewinn, da nun viel ungefährlicher. Aber all das ist doch erst ein bescheidener Anfang. Am Suttner Platz braucht man mehr Moral: Umsicht und Rücksichtnahme aller Verkehrsteilnehmer miteinander. Wir brauchen auch endlich attraktive Zugänge zur City und da natürlich wieder mehr Aufenthaltsqualität. Ein Fahrradtunnel an der Bahnunterführung an der Poppelsdorfer Allee ist auch überfällig, der passt doch gut südlich vom Fußgängerbereich hin. Durchgängige Radstrecken, ja, das ist was! Vertane Chance gab es beim Klotz Urban Soul. Die schöne Fahrradstraße Florentiusgraben hötte msn da doch gut zum Bahnhof durchbinden können. Hätte… Fahrradkette. Also was bleibt? Noch besser werden und: Weitermachen, weitermachen!

  • Anonymous sagt:

    Ich besitze kein eigenes Auto, fahre Rad oder gehe zu Fuß, selten ÖPNV. Die Bedingungen machen es nicht einfach, diese Mobilitäten zu nutzen. Aber wenn ich doch mal meine, dass es das Auto sein muss, dann fahre ich ins Parkhaus und gut ist. Die sind alle erreichbar. Und wenn es sogar mal nach Beuel rüber geht, steht auch dort ein Parkhaus (fast immer eher leer) mitten im Beueler Zentrum zur Verfügung. Ja, ich kann nicht mit 50-70 km/h mein Einkaufsziel erreichen. Aber ist das wirklich ein Grund, so zu meckern, wie es leider zu viele tun? Insbesondere auch die sog. Interessenvertreter/innen. Manchmal komme ich mir als eher Nicht-Autofahrer wenig willkommen vor.

  • Anonymous sagt:

    Dem Auto steht rund um die Bonner Innenstadt, wenn man es recht betrachtet, wohl vor allem das Auto im Weg, denn es nimmt nun mal gefahren wie geparkt den meisten Raum ein, so dass auch ehemals normale Straßen nur noch ein Rinnsal an Verkehr ermöglichen. Das kann ich im übrigen aus beiden Perspektiven feststellen.

    Der ÖPNV ist sicherlich ein Thema für sich. Die letzten Verspätungen und Ausfälle von Bussen und Bahnen, die ich gerne genutzt hätte, hatten allerdings mit Stau an Engpässen bzw. mit falsch abgestellten Autos (zu nahe an der Bahntrasse) zu tun – das sind nur Einzelne, diese aber mit herausragender Wirkung.

    Mehr von diesem Raum an andere mit weniger Platzbedarf abzugeben, ob mit Fahrrad oder zu Fuß unterwegs, und ihnen in der Stadt punktuell einen Anreiz durch ein zartes Sicherheitsgefühl zu geben werte ich insofern eher als positiv. Bislang waren Kinder und nicht ganz geübte Menschen auf dem Fahrrad jedenfalls quasi ausgesperrt, weil viel zu gefährdet. Diese Menschen wollen übrigens auch gerne in die Innenstadt und wollten das mitunter auch früher schon, haben sich aber erst gar nicht dort lang getraut.

    Wer meint, mit dem Auto unzumutbare Umwege fahren zu müssen, dem/der sei im übrigen einmal das Befahren der Reuterbrücke insbesondere mit dem Fahrrad in Richtung Süden ans Herz gelegt. Da darf man „provisorisch“ über 3 Jahre hin einen schmalen, leidlich beschilderten Irrgarten zwischen Baucontainern hindurch befahren – den man sich (incl 180-Grad-Wende) außerdem mit mutigen Fußgängern teilt – und einen Umweg von mehreren 100 Metern bewältigen; das alles , weil eine Fahrradspur auf dem zu überbrückenden Verbindungsstück von 20 Metern den Autoverkehr dann auf eine Spur eingeengt hätte.

    Den Blick fürs Ganze zu bewahren wünsche ich (uns) allen – und insbesondere den Damen und Herren vom GA, denn da muss ich Ihnen Recht geben: deren Berichterstattung erscheint bei diesem Thema tatsächlich alles andere als ausgewogen, ob nun reißerisch (oder schlecht recherchiert) um der Leserzahlen willen oder als nicht gekennzeichnete Meinung ist da gleich schlecht.

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