Umsetzung

Alles fürs Fahrrad und gegen das Auto!

Zwei Jahre nach Annahme des Radentscheid setzt sich in Bonn die allgemeine Einschätzung durch, dass sehr viel für den Radverkehr getan wird. Mit der grünen Oberbürgermeisterin scheint das fast ein Selbstläufer zu sein. Daher müssen sich die Autofahrenden fürchten und verteidigen, denn die Umwandlung der Stadt richtet sich vorwiegend gegen sie. Ideologie heißt der Vorwurf. In Teil 2 unserer Zwischenbilanz zum Radentscheid geht es uns um Objektivität und Zählbares.

Ein Narrativ ist eine häufig verbreitete Erzählung, die die Fakten in einen bestimmten Zusammenhang stellt und damit eine Deutung erzeugt. „In Bonn wird viel für den Radverkehr gemacht“ ist ein solches Narrativ. Was sind die Fakten dahinter? Lasst uns kurz auflisten, was in den vergangenen zwei Jahren Neues für die Radfahrenden geschaffen wurde:

Die Projekte

Der rechtsrheinische Rheinauenradweg beruht auf einer Planung, die lange vor dem Radentscheid beschlossen wurde. Nach heftigen Diskussionen wurde auf ca. 1,7 km der bestehende 2-Richtungsradweg von ca. 2 m auf ca. 3 m Breite erweitert. Linksrheinisch entsprach die Planung nicht den Belangen des Naturschutzes, wurde daher abgelehnt und bis heute gibt es keinen neuen, umweltverträglicheren Vorschlag.

Das Bonner Rheinufer zwischen Beethovenhalle und Zweite Fährgasse hat eine neue Radverkehrsführung bekommen. Teilstrecken sind als Fahrradstraße angelegt, auf dem größten Teil ist eine neue Fahrradspur markiert worden, wodurch dort eine Autospur weggefallen ist. Hier sehen wir auf einer Strecke von 1,6 km eine substanzielle Verbesserung für Fahrräder. Zwar verläuft die Strecke Richtung Norden immer noch teilweise auf dem recht schmalen Hochbord. Da der Bereich generell umgestaltet werden wird, wird sich das noch verbessern.

Fahrradspur unterhalb der Oper Bonn

Die Oxfordstraße ist sicher die bekannteste Umgestaltung in Bonn. Die Hauptverkehrsachse hat auf ca. 700 m in beide Richtungen Umweltspuren (gemeinsame Nutzung durch Busse und Radfahrende) bekommen. In Richtung Osten sind davon fast 300 m und in Richtung Westen gut 200 m als reine Fahrradspuren, sogenannte Radfahrstreifen, markiert. Die Autofahrenden müssen hier auf eine Spur verzichten, was die Anzahl der Autos reduziert, die bei einer Grünphase in die Kreuzungen einfahren können. Gleichzeitig können die Busse jetzt partiell unabhängig vom Pkw-Verkehr vorankommen.

Neuer Radweg am Stadthaus Bonn

Auf dem Belderberg und in der Sandkaule gibt es Richtung Norden auf ca. 500 m eine neue Radfahrstreifen, teilweise sogar mit Protection. In Richtung Süden bleibt es bei der schon länger bestehenden Umweltspur. 

Radspur Belderberg Bonn

Viktoriabrücke: Die ursprüngliche Planung war auf den Autoverkehr zugeschnitten. Diese wurde angepasst. Statt schmaler Radwege, die zum Teil über Gehwege führen, wurden breite Radfahrstreifen auf beiden Seiten angelegt – die Anzahl der Autofahrspuren wurde reduziert. Eine gefährlichen Rechtsabbiegemöglichkeit für den Autoverkehr in die Bornheimer Str. entfiel. Zusammen bedeutet es eine deutliche Verbesserung für Radfahrer*innen. Hier sind 320 m Radweg entstanden, die Spaß machen. Da es im Zentrum keine idealen Querungen der Bahntrasse mit dem Fahrrad gibt, ist dieser neue Radweg ein echter Gewinn. Wir hoffen, dass die Kölner Bezirksregierung der Änderung zustimmt und aus dem Provisorium etwas Bleibendes wird.

vorläufige Radspur Viktoriabrücke Bonn

Auf dem Hermann-Wandersleb-Ring läuft ein Verkehrsversuch, der ursprünglich den Busverkehr beschleunigen sollte. Eine Fahrspur wurde daher (außer vor den Kreuzungen) zur Umweltspur gemacht, die auch Radfahrende nutzen dürfen. Aktuell drehen sich die Diskussionen hier stark um den Radverkehr. Aus Sicht des Radentscheids handelt es sich an dieser Stelle aber eher um eine problematische Fahrradinfrastruktur. Der Konflikt zwischen langsamen Radfahrer*innen und den Bussen ist erlebbar. Zudem sind die Rechtsabbieger Konfliktpunkte. Da diese Achse zukünftig auch für die Westbahn benötigt wird, ist uns noch nicht klar, ob es hier eine gute und sichere Fahrbahn für den Radverkehr geben wird. 

Umweltspur am Wanderslebring

Die Kappung des Cityrings ist bisher nicht mit einer deutlichen Verbesserung für den Radverkehr verbunden. Die Umgestaltung des Busbahnhofs und der Umbau der Straße Am Hauptbahnhof stehen noch aus. Als Radfahrer*in muss man sich hier weiterhin durchwursteln.

Zudem wurde der Radweg von Lengsdorf Richtung Meckenheim fast durchgängig saniert. Das war eine notwendige Maßnahme zum Erhalt der Infrastruktur. Und wir freuen uns über die frisch asphaltierten Wege im Kottenforst, auf denen man jetzt sehr gut fahren kann. Auch hier hat das Land investiert, um die Wege nutzbar zu halten.

Wer weitere, in den letzten zwei Jahren umgesetzte Maßnahmen für den Radverkehr kennt, möge uns das bitte unten in den Kommentaren schreiben.

Wir warten noch auf die Umsetzung der diversen Fahrradstraßen. Sie beruhen auf einer Planung von 2012 im Rahmen des Ziels, Fahrradhauptstadt 2020 zu werden. Ca. 1/3 wurden in den letzten 10 Jahren realisiert. Ein weiterer Teil soll endgültig in diesem Jahr umgesetzt werden. Dafür wurde die Planung an die Anforderungen des Radentscheids soweit möglich angepasst. So hören wir es aus dem Stadthaus. Damit verbunden wären 4,5 m Breite der Fahrspur, der Wegfall von Parkplätzen und die Herausnahme des Durchgangsverkehrs durch sogenannte Modale Filter. Die Pläne müssen noch zur Abstimmung in die politischen Gremien, deren Ausgang ungewiss ist.

Unser Fazit

Eine der wesentlichen Motivatoren für den Radentscheid war der Wunsch, endlich nicht mehr nur über große Ziele einen politischen Diskurs zu führen, sondern gezielt Maßnahmen umzusetzen, die das Radfahren einfacher und sicherer machen. Deswegen wurden dezidiert jährlich 15 km neue Radwege oder Fahrradstraßen gefordert. Sechs große Ampelkreuzungen und 20 Einmündungen sollen zusätzlich jährlich gebaut werden. So gefordert und beschlossen. 

Die oben beschriebenen Neubauten summieren sich auf gut 3 km neue Radwege oder Umweltspuren in zwei Jahren. Umgebaute Kreuzungen und Einmündungen nach Radentscheid-Beschluss sind uns nicht bekannt. Im Radentscheidteam diskutieren wir, ob man den verbreiterten Radweg in der Beueler Rheinaue einrechnen kann. Aber wenn wir nur Radwege sanieren, die man bereits benutzen konnte, wird sich in der Stadt nichts substanziell ändern. Und damit zurück zum Narrativ „In Bonn wird viel für den Radverkehr getan“. 

Bring dich ein!

Die Bonner Politik – und wir sind überzeugt auch eine Mehrheit der Bürger*innen – will eine Verkehrswende. Sie soll uns gute Mobilitätsalternativen zum Auto bieten, mehr Platz für Fußgänger*innen und für Begegnung in den Straßen und auf den Plätzen schaffen und so die Stadt auch in Zukunft lebenswert und klimaneutral machen. Das ist ein großes Ziel, um das viel gerungen und diskutiert wird und werden wird. Dabei spielen verschiedenste Interessensgruppen und Medien eine Rolle. Auch die Radfahrenden und die Menschen, die gerne radfahren würden, sind ein Teil davon. Wir können nicht feststellen, dass wir schon besonders davon profitiert haben. Daher ist das Narrativ für uns gefährlich. Mit dem Gefühl, dass viel für den Radverkehr getan wird, verlagert sich die Aufmerksamkeit weg zu anderen Themen. Aber faktisch ist bisher noch viel zu wenig passiert. Daher ist es umso wichtiger, dass alle, die mit uns für eine menschen- und klimafreundliche Stadt sind, sich in die Diskussion einbringen. Für dieses Jahr planen wir wieder mehr Aktionen, für die wir auf Beteiligung hoffen. Wir wünschen uns, dass die Critical Mass wieder mit mehreren tausend Mitfahrenden zeigt, dass das Fahrrad vielen in Bonn wichtig ist. Und wir freuen uns über jeden, der sich bei uns meldet und sich einbringt, um eine wirkliche Veränderung zu erreichen.

Was die Fertigstellung neuer Fahrrad-Infrastruktur angeht, sind wir nicht zufrieden. Wie unser Zwischenfazit zu den Projekten in Planung und zu der Umsetzungsstrategie ist, werden wir in weiteren Folgen dieser Serie beschreiben.

geschrieben von Steffen

10 Kommentare

  • Unterwegs sagt:

    Nicht in Bonn, aber auf dem angrenzenden Bornheimer Gebiet kenne ich zahlreiche Stellen, wo in den letzten Jahren kilometerweise Infrastruktur für den Fahrradweg abhanden gekommen ist. Gründe dafür sind:
    – Verstärkter Güterverkehr (betrifft das gesamte Gewerbegebiet zwischen Roisdorf und Hersel), der das Radfahren dort lebensgefährlich macht
    – Wichtige Querverbindungen vom Bornheim zum Rhein sind durch Schwerlastverkehr unbefahrbar geworden.
    – Mehr Autoverkehr benötigt mehr Raum. Der zunehmende Platzverbrauch des Autoverkehrs macht das Radfahren gefährlicher.

    Stattdessen beweihräuchert man sich mit touristischer Ausschilderung von Wirtschaftswegen zur Apfelroute, die nicht für Pendelverkehr geeignet ist.

    Einzig die lang geplante Rad-Pendler-Route von Bonn über Alfter nach Bornheim entwickelt sich langsam. Obwohl sie noch nicht durchgängig befahrbar ist, gibt es jetzt darauf schon heftige Konflikte zwischen Auto- und Radverkehr ebenso wie zwischen Fuß- und Radverkehr. Dazu kommt, dass es bislang keine vernünftigen Zubringer gibt.

    Auch wenn es überall heißt, es müsse mehr für den Radverkehr getan werden, erlebe ich unter dem Strich eine stete Verschlechterung: Während irgendwo ein Kilometer Radweg gebaut wird, werden gleichzeitig andernorts mehrere Kilometer Weg für Fahrräder unbefahrbar gemacht.

  • Carl Schamel sagt:

    Kreiselverkehre, Ramersdorf und Oberkassel: geradeaus Radverkehr muss an jeder Fahrbahnkreuzung Vorfahrt gewähren, Mittelalter!
    Kann dem FAZIT nur zustimmen-60 Jahre Radfahren in Bonn, ein Wunder, dass ich noch lebe.

  • Moses sagt:

    Das verrückte ist doch, der Widerspruch den das Narrativ suggeriert gibt es nicht, je mehr Leute sich auf Grund guter Radinfra aufs Fahrrad trauen, desto mehr profitieren auch die Autofahrer. Denn mehr Leute auf dem Rad bedeuten weniger im Auto, die sich dann nicht mehr selbst blockieren und der Stau wird weniger. Also bitte mehr Tempo liebe Stadt Bonn und mehr Überzeugungsarbeit das es durch die Verkehrswende für alle besser wird…

  • Ein Holzlarer sagt:

    Eine massive Verschlechterung, die alle betrifft, die aus Pützchen und Holzlar in die City fahren, wird irgendwie immer ausgeblendet: die bevorstehende Schließung des Bröltahlradwegs. Die mW bislang diskutierte Alternative scheint nicht optimal.
    Hier muss mehr passieren, etwa eine PBL entlang der Siegburger Str. und Vorfahrt an den Ampeln.

    • Jens sagt:

      Der Bröltalbahn-Radweg ist für mich eines der gelungensten Beispiele für städtische Fahrradinfrastruktur, was ist denn da geplant? Was bedeutet „Schließung“?

    • Steffen sagt:

      Für die neue S-Bahnstrecke muss die Brücke über den Bröltalbahnweg neu gebaut werden. Dafür muss der Weg für fast 2 Jahre gesperrt werden. Nach den letzten, mir bekannten Planungen sollte der Bau Ende 2023 starten. Die Umleitung für Radfahrende und Fußgänger*innen ist über Auguststraße – Marquartstraße – Bahnunterführung Siegburger Str/Obere Wilhelmstraße – Gustav-Kessler-Straße geplant.

  • Ute sagt:

    Ich weiß nicht, wie oft ich schon bei der Stadt, im Rahmen des Fahrradklimatests oder in Diskussionen vorgetragen habe, wie gefährlich die angeblich verkehrsberuhigenden „Kissen“ auf der Fahrbahn für Radfahrende sind. Es parken Autos bis an das Kissen, es rauschen Autos an mir vorbei und ich werde auf den schrägen Rand abgedrängt. Insbesondere wenn es regnet ist dies lebensgefährlich. Und solche Straßen werden dann als Fahrradstraßen ausgewiesen (Schumannstr., Weberstr.)! Aber auch die Sternenburgstr. oder die Lotharstr. sind solche Zumutungen. Was tun?

  • Jens sagt:

    Der Hermann-Wandersleb-Ring ist für mich ein Beispiel für schlechtes Kosten-/Nutzen-Verhältnis. Für uns Radfahrer gibt es mit der Euskirchener Straße und dem Messdorfer Feld bessere Alternativen, und dass Busse hier großartig im Stau standen, konnte ich bisher auch nicht beobachten. Hier wird meiner Ansicht nach ein Problem versucht zu lösen, was gar nicht existiert.

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