Ideen / Inspiration

Straßen befreien – Eine Vision für die menschenfreundliche Stadt

Mit dem Radentscheid haben wir uns darauf fokussiert, konkrete Verbesserungen der Fahrradwege und -routen in Bonn zu erreichen. Darauf zielt das Bürgerbegehren ab. Die Möglichkeit, sich mit einem Fahrrad oder zu Fuß in der Stadt bewegen zu können, verbindet sich bei uns mit einem Gefühl von Freiheit. Der Bewegungsraum ist groß; der Zeitbedarf, um von ...

Mit dem Radentscheid haben wir uns darauf fokussiert, konkrete Verbesserungen der Fahrradwege und -routen in Bonn zu erreichen. Darauf zielt das Bürgerbegehren ab. Die Möglichkeit, sich mit einem Fahrrad oder zu Fuß in der Stadt bewegen zu können, verbindet sich bei uns mit einem Gefühl von Freiheit. Der Bewegungsraum ist groß; der Zeitbedarf, um von A nach B zu kommen, ist gut planbar. Und die Unmittelbarkeit des Radfahrens macht Spaß – wenn die Infrastruktur passt. Aber für Radwege braucht es Platz. Platz, der momentan anders genutzt wird. Und damit sind wir mitten in der Diskussion um eine gerechte Flächenverteilung in unserer Stadt. 

Kürzlich bin ich auf das im Juni 22 veröffentlichte Berliner Manifest „Straßen befreien“ gestoßen. Es zeigt eine Vision auf, wie die Stadt aussehen könnte, wenn man sie mal ganz anders denken würde. Und da unser Blog auch von einigen gelesen wird, die sich mit der Mobilität in den Städten der Zukunft beschäftigen, möchte ich hier auf das Manifest aufmerksam machen. Es beinhaltet einige Fakten und Ideen, die mir in der Form nicht präsent waren.

Foto: Manifest der freien Straße / paper planes e.V.

So wurde überraschenderweise von Gesetzgeberseite nie daran gedacht, die Straßen zu Parkraum zu machen. Vielmehr war der Besitz eines Kraftfahrzeuges mit der Verpflichtung verbunden, dafür auch einen privaten Abstellplatz zu haben. Aber der zivile Ungehorsam eines Bremer Kaufmanns führte 1966 zu einem Grundsatzurteil. Immer wieder hatte er sein Auto auf der Fahrbahn abgestellt und sich mit den Ordnungsbehörden angelegt. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte, dass die gesellschaftlich gewünschte Förderung der Automobilität damit verbunden sein muss, dass man das Automobil auch im Straßenraum abstellen darf. Das entsprach den Verkehrsbedürfnissen und wurde damit als gemeinverträglich gesehen.

Seitdem hat sich der ursprüngliche Bewegungs- und Begegnungsraum Straße komplett verändert. Die jahrzehntelange, autozentrierte Stadtentwicklung führte dazu, dass uns heute normal und unveränderlich erscheint, was nie so gedacht war. Unser Verhältnis zum Verkehr und zum städtischen Raum ist geprägt von vielen Dogmen und Glaubenssätzen, die kaum noch hinterfragt werden. Dabei könnten unsere Städte so viel menschenfreundlicher und sozialer sein. Und sogar für die Wirtschaft gäbe es viele Vorteile.

Foto: Manifest der freien Straße / paper planes e.V.

Die Berliner Denkfabrik paper planes e. V. hat in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und der Technischen Universität ein umfassendes Konzept erarbeitet. Das „Manifest der freien Straße“ zeichnet in sieben Thesen das Bild der modernen Stadt, in der wir gelernt haben, dass der Besitz eines privaten Autos uns nicht weiterbringt, sondern uns mehr nimmt, als wir davon profitieren. Die Thesen sind detailliert beschrieben und begründet. Dazu gibt es informative und unterhaltsame Illustrationen. Unterstützen kann man das Manifest mit seiner Unterschrift. Mein Urteil dazu: unbedingt lesenswert. Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir unsere Städte neu diskutieren und gestalten.

Foto: Manifest der freien Straße / paper planes e.V.

Apropos Diskussion: Nehmen wir mal den Gedanken vom Anfang: Die Förderung des Autos war ein gesellschaftliches Ziel und das Gericht hat, ausgehend von einem kontinuierlichen Regelverstoß, die Gesetzgebung dazu gezwungen, dieses Ziel auch zu Ende zu denken und konsequent umzusetzen. Heute in Zeiten von fortschreitendem Klimawandel haben sich die Prioritäten gedreht. Heute sind Klimaziele Staatsziele und das Bundesverfassungsgericht spricht Grundsatzurteile für die Chancengleichheit zukünftiger Generationen. Ist es nicht ein aktuelles gesellschaftliches Ziel, auch den öffentlichen Raum wieder gemeinsam in Besitz zu nehmen, anstatt ihm für die Fahr- bzw. Stehzeuge fast kostenfrei zur Verfügung zu stellen? Wie würde Gerichte heute entscheiden, wenn täglich Parking Day wäre und wir unsere Tische und Stühle oder Arbeitsplätze nach draußen in den Straßenraum verlagern würden? Eine interessante Wortmeldung dazu ist der Artikel von Andreas Knie aus dem Dezember 2021

Lasst uns diskutieren.

geschrieben von Steffen Schneider

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