Mobilität

Heißt Verkehrswende Klimaschutz vs. Wirtschaftsinteressen?

Klimaschutz ist nicht das einzige Argument für die Verkehrswende. Trotzdem wird oft ein Zielkonflikt zwischen der Verkehrswende und Wirtschaftsinteressen konstruiert. Das ist zu kurz gegriffen.

Mir fällt auf, dass in letzter Zeit immer wieder versucht wird, die Verkehrswende als einen Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und Wirtschaftsinteressen darzustellen. Die Kampagne Vorfahrt Vernunft der Bonner IHK und des Einzelhandelsverbands formuliert ein Gegeneinander von Verkehrswende aufgrund von Klimaschutz und guten Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Bonn indem sie behauptet, eine Neuverteilung des Straßenraums würde zu längeren Fahrzeiten für Wirtschaftsverkehre führen. Auch auf einer Podiumsdiskussion in der Bonner VHS mit Vertretern von u.a. IHK, Einzelhandelsverband, ADFC und Stadt wurde der Diskussion direkt zu Beginn durch den Moderator der Rahmen “Verkehrswende aufgrund von Klimaschutz vs. Wirtschaftsinteressen” gegeben.

Diese Erzählung ist aus meiner Sicht haltlos. Die Notwendigkeit einer Verkehrswende ergibt sich nicht rein aus dem Thema Klimaschutz. Es ist erfreulich, dass Verkehrswendemaßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen beitragen und – ja, das ist sicher ein großer Motivator zur Umsetzung solcher Maßnahmen. Es ist allerdings sicher nicht der einzige. In diesem Blog-Post möchte ich die wichtigsten Gründe, die für eine Verkehrswende sprechen, aufzeigen:

  • Lösung des Stauproblems
  • Bessere Gesundheit der Stadtbevölkerung
  • Sicherheit und Vision Zero
  • Klimaschutz

Dabei wird deutlich werden, dass der Widerspruch Verkehrswende vs. Wirtschaftsinteressen nicht existiert. Vielmehr wird auch der Wirtschaftsverkehr von der Verkehrswende profitieren.

1. Verkehrswende zur Lösung des Stauproblems

Das für manche wahrscheinlich überraschendste Argument für die Verkehrswende: Sie wird das Stauproblem lösen. Stau ist auch in Bonn ein Problem, insbesondere im Berufsverkehr. Jahrzehntelang hat man in Deutschland versucht, das Stauproblem durch Bereitstellung von noch mehr Autoinfrastruktur zu lösen: mehr Spuren, neue Straßen. Gelöst wurde das Stauproblem dadurch nicht.

Grund dafür ist, dass dieser Lösungsansatz ausschließlich den Autoverkehr betrachtet, abgekapselt vom gesamten Verkehr. Es gibt aber nicht “die Autofahrer”, “die ÖPNV-Nutzer”, “die Radfahrer” und „die Fußgänger“. Es gibt Menschen, die von A nach B kommen möchten und dazu das für sie am besten passende Verkehrsmittel wählen. Welches Verkehrsmittel am besten passt, hängt sehr stark von der angebotenen Infrastruktur ab.

Daher muss man Verkehr in seiner Gesamtheit betrachten. Baut man die Infrastruktur für eine Verkehrsart aus, wird diese Verkehrsart für Menschen komfortabler und mehr Menschen werden sich für diese Verkehrsart entscheiden. Die Nutzung anderer Verkehrsarten lässt nach.

Genau das ist in Deutschland – und auch in Bonn – über die letzten Jahrzehnte passiert. Bei immer weiterem Ausbau der Autoinfrastruktur bei gleichzeitiger Vernachlässigung der anderen Verkehrsarten (Die letzten Meter neue Straßenbahnschienen wurden in Bonn vor 30 Jahren verlegt. Die meisten Radwege sind nach wie vor unsicher und in schlechtem Zustand.) wurde das Auto für immer mehr Menschen das attraktivste Verkehrsmittel. Mehr  Autoinfrastruktur zieht mehr Autos an.

Betrachtet man zusätzlich zu dieser Erkenntnis die Tatsache, dass das Auto im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln am meisten Platz benötigt, also sehr ineffizient ist, so liegt es nahe, Verkehr auf alternative Verkehrsmittel verlagern zu wollen, um das Stauproblem zu lösen. Baut man ÖPNV, Rad- und Gehwege aus, so werden diese Verkehrsmittel für mehr Menschen attraktiv. Verkehr verlagert sich auf diese flächeneffizienteren Verkehrsmittel und der verbleibende Autoverkehr fließt besser – sogar wenn Flächen zugunsten anderer Verkehrsmittel umverteilt wurden.

Natürlich kann nicht jeder vom Auto auf andere Verkehrsmittel umsteigen. Das ist aber auch gar nicht notwendig. Es reicht, wenn die umsteigen, für die es möglich ist. Ca. die Hälfte aller mit dem Auto zurückgelegten Wege ist unter 5 km lang (siehe z.B. hier und hier (S.74)). Das Potential für alternative Verkehrsträger ist riesig. Das zeigt sich daran, dass neue Radwege und Bahnstrecken rege genutzt werden, sobald sie da sind – und auch daran, dass der Radverkehrsanteil am Gesamtverkehrsaufkommen in Bonn sogar trotz schlechter Radinfrastruktur bereits seit Jahren ansteigt.

Auch wenn es anfangs paradox klingt: Die Umverteilung von Flächen zugunsten von Radverkehr, Zufussgehenden und ÖPNV sorgt für flüssiger fließenden Autoverkehr. Dies liegt an der im Vergleich zum Autoverkehr enorm besseren Flächeneffizienz alternativer Verkehrsträger. Profitieren wird davon insbesondere auch der Wirtschaftsverkehr. Leider übersehen die Bonner Wirtschaftsverbände dies bisher.

Weitere Informationen zur hier dargelegten Argumentation findet man unter den Stichworten “Induzierter Verkehr” und “Verlagerter Verkehr” (z.B. Wikipedia, Umweltbundesamt, Zusammenfassung des wissenschaftlichen Diensts des Bundestags. Gut verständlich tiefergehend erläutert und mit Quellen belegt auch in den Videos des Youtube-Kanals NotJustBikes).

2. Verkehrswende für bessere Gesundheit

Ein weiteres Argument für die Verkehrswende ist die Gesundheit der Anwohner viel befahrener Autostraßen. Autoverkehr erzeugt eine hohe Lärm- und Feinstaubbelastung für Anwohner. In Bonn ist dies besonders relevant. Die A565 führt mitten durch direkt angrenzende Wohngebiete, die vielbefahrene Reuterstraße ebenfalls. Verkehrswendemaßnahmen wie Geschwindigkeitsreduktionen für den Autoverkehr und Verlagerung des Verkehrs auf andere Verkehrsmittel werden diese Gesundheitsrisiken für die Bonner Bevölkerung reduzieren.

Das Problem ist der Gesundheitsbelastung ist dabei kein kleines. Lesenswert dazu ist z.B. dieser Artikel im Tagesspiegel. In Deutschland sterben im globalen Vergleich verhältnismäßig viele Menschen an den Folgen von Verkehrsabgasen.

3. Verkehrswende wegen Sicherheit und Vision Zero

Ein weiteres Argument für die Verkehrswende ist die Vision Zero. Darunter versteht man in Bezug auf Verkehr das Ziel, dass keine Menschen im Verkehr ums Leben kommen. Eine Grundannahme der Vision Zero ist, dass Menschen Fehler machen und die Verkehrsinfrastruktur daher so ausgelegt sein sollte, dass sie fehlertolerant ist. Die Vision Zero ist auch längst festgeschrieben. In der Verwaltungsvorschrift zur StVO wird sie direkt im ersten Paragraphen als oberstes Ziel benannt. Eigentlich Grund genug, auch danach zu handeln.

Für den Straßenverkehr bedeutet das z.B. sichere, vom Autoverkehr baulich abgetrennte Radwege. Deren einfachste Form sind Protected Bike Lanes wie sie die Stadt Bonn auf der Adenauerallee gerne einführen würde.

Sicherer, baulich getrennter Radweg in Utrecht in den Niederlanden

Sicherer, baulich getrennter Radweg in Utrecht in den Niederlanden

Weitere Maßnahmen, die zur Vision Zero beitragen, sind getrennte Ampelphasen für Zufussgehende und Autofahrende sowie die Reduktion der Geschwindigkeit des Autoverkehrs in der Stadt. Letzteres fordert z.B. die Initiative Lebenswerte Städte, der mittlerweile über 1.000 deutsche Kommunen – u.a. die Stadt Bonn – beigetreten sind.

Auch eine neue Gestaltung von Kreuzungen trägt zur Vision Zero bei. Reduzierte Kurvenradien verlangsamen den Autoverkehr und verringern dadurch die Gefahr, beim Abbiegen Zufussgehende und Radfahrende zu übersehen. Auch die Anhebung von Kreuzungsbereichen auf Gehwegniveau senkt das Tempo von Autos ab. Gleichzeitig erhöht sich die Barrierefreiheit für Zufussgehende.

Kreuzung Hauptstraße mit Seitenstraße in Maastricht, Niederlande. Die Gestaltung senkt die Geschwindigkeit abbiegender Autos und erhöht dadurch die Sicherheit.

Kreuzung Hauptstraße mit Seitenstraße in Maastricht, Niederlande. Die Gestaltung senkt die Geschwindigkeit abbiegender Autos und erhöht dadurch die Sicherheit.

Es fällt auf, dass viele dieser Maßnahmen darauf abzielen, den Autoverkehr zu verlangsamen. Dies mag auf den ersten Blick als Politik gegen das Auto wahrgenommen werden, ist aber letztendlich nur Ausdruck der Tatsache, dass der Autoverkehr für die weitaus überwiegende Zahl der Todesfälle im Straßenverkehr verantwortlich ist. Zufussgehende und Radfahrende haben keine Knautschzone und müssen daher vor dem Autoverkehr geschützt werden, wenn man die Vision Zero erreichen möchte.

Dass die Vision Zero erreichbar ist, haben Städte wie Oslo oder Helsinki gezeigt, die durch konsequentes Umsetzen von Verkehrswendemaßnahmen die Anzahl der Verkehrstoten deutlich reduziert haben. Deshalb haben wir einige der oben beschriebenen Maßnahmen in die Radentscheid-Ziele mit aufgenommen.

In Bonn wird z.Zt. viel über die Adenauerallee diskutiert. Wie oben erwähnt, ist die Vision Zero bereits jetzt rechtlich festgeschrieben Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen – nicht die Leichtigkeit des Autoverkehrs. Etwas unverständlich, dass bei der Adenauerallee trotzdem nur über Letzteres diskutiert wird.

4. Verkehrswende wegen Klimaschutz

Schlussendlich zahlt die Verkehrswende auf den Klimaschutz ein. Dieses Argument ist recht offensichtlich. Autos stoßen in großer Menge CO2 aus, was schädlich für das Klima ist. E-Autos werden dieses Problem auf lange Sicht lösen, aber die Geschwindigkeit, mit der sich Autos verbreiten, ist viel zu gering, um der fortschreitenden Klimakrise angemessen zu begegnen. Gerade der Verkehrssektor verfehlt in Deutschland seit Jahren immer wieder seine Klimaziele. Daher ist es notwendig, neben der Elektrifizierung weitere Maßnahmen zu ergreifen, den CO2-Ausstoß im Verkehrssektor zu reduzieren.

Ein guter Ansatzpunkt ist die Verlagerung von Verkehr weg vom Auto auf andere – klimafreundlichere – Verkehrsträger. Das sind zum Einen die – bereits weitgehend elektrifizierte – Bahn als auch das Fahrrad und natürlich auch das Zufussgehen. Der Trend zum E-Bike als klimafreundliches Verkehrsmittel kommt hinzu. Um diese Verkehrsarten zu fördern, muss ihre Infrastruktur ausgebaut werden. Das geht nur, indem man den vorhandenen Platz neu verteilt, da in einer Stadt wie Bonn kein neuer Platz zur Verfügung steht.

So in etwa ist die gängige Argumentation für die Verkehrswende auf Basis des Argumentes Klimaschutz. Wie wichtig und dringlich Klimaschutz ist, sehen wir gerade in den letzten Jahren immer mehr.

Nicht zu unterschätzen sind auch die Folgekosten der Klimakrise, die durch nicht konsequent umgesetzte Klimaschutzmaßnahmen immer weiter ansteigen. Klimaschutz ist nichts Abstraktes. Unterlassener oder verschleppter Klimaschutz wird real Geld kosten. Geld, das die Allgemeinheit bezahlen muss – und damit auch die Bonner Wirtschaft. Die reine Betrachtung vermeintlicher monetärer Nachteile durch die Verkehrswende – so wie die Bonner Wirtschaftsverbände es tun – ohne gleichzeitige Betrachtung der dadurch entstehenden Folgekosten ist inkonsequent und einseitig.

Fazit

Verkehrswende dient nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch der Gesundheit der Anwohner und der Sicherheit im Straßenverkehr. Dadurch entstehen lebenswerte Städte. Außerdem bietet die Verkehrswende einen klaren Plan zur Lösung des Bonner Stauproblems. Gerade der letzte Punkt widerlegt den eingangs erwähnten Versuch, einen Zielkonflikt zwischen Verkehrswende und Klimaschutz zu formulieren. Die Verkehrswende ist eine durchdachte Strategie zur Lösung unserer Stauprobleme. Davon wird insbesondere der Wirtschaftsverkehr profitieren.

Klimaschutz und ökonomische Interessen gehen bei der Verkehrswende Hand in Hand. Die Erzählung, die Verkehrswende schade der Bonner Wirtschaft, ist nicht schlüssig und dient einzig der Verhinderung der Umsetzung von Verkehrswendemaßnahmen wie z.B. aktuell der Einrichtung sicherer Radwege auf der Adenauerallee. 

Geschrieben von Martin P.

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