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Radfahren triggert – Und das ist auch gut so.

Mobilität betrifft uns alle, denn fast alle sind fast jeden Tag mobil. Automatisch ergeben sich dadurch feste Gewohnheiten bis hin zu Ritualen, die mit der Mobilität verknüpft sind. Für viele ist z. B. der Arbeitsweg oder das Einkaufen mit dem Auto eine Selbstverständlichkeit (geworden). Kommt nun eine Kollegin plötzlich mit dem Fahrrad oder der Wocheneinkauf ...

Mobilität betrifft uns alle, denn fast alle sind fast jeden Tag mobil. Automatisch ergeben sich dadurch feste Gewohnheiten bis hin zu Ritualen, die mit der Mobilität verknüpft sind. Für viele ist z. B. der Arbeitsweg oder das Einkaufen mit dem Auto eine Selbstverständlichkeit (geworden). Kommt nun eine Kollegin plötzlich mit dem Fahrrad oder der Wocheneinkauf erfolgt mit dem Fahrradanhänger, wird das als abweichendes Verhalten bemerkt und führt (vielleicht auch nur unterbewusst) zur Irritation. Wäre dieses abweichende Verhalten komplett absurd, würde niemand sich dadurch bewegt fühlen, das eigene Verhalten rechtfertigen zu müssen. Radmobilität ist aber nicht absurd und Radfahren wird so von vielen durchaus als ernstzunehmende Mobilitätsoption angesehen. Das lässt viele ihr eigenes Verhaltensmuster hinterfragen. Die Vorteile der klimagerechten, kinderfreundlichen, gesunden und platzsparenden Mobilität mit dem Rad sind dabei allen bekannt und quasi alle teilen den Wunsch nach einer lebenswerten Stadt mit einem zukunftsfähigen Mobilitätssystem.

Dieser innere Konflikt zwischen prinzipiellem Wunsch und der Gewohnheit, ruft aber Abwehrmechanismen auf den Plan. Häufig findet sich neben klassischer Verdrängung und Vermeidung („Naja, ist halt so.“) auch Rationalisieren („… aber leider hab ich so einen langen Weg.“ „ … aber Radfahren ist so gefährlich.“) oder Verschiebung („… aber dann mit dem Flugzeug in Urlaub.“). Interessant ist auch der Abwehrmechanismus der Identifikation: “Ich bin ja auch ein Radfahrer …“. Insgesamt wird die Auswahl der Mobilitätsoption oft als identitätsbildend gesehen (siehe auch unseren Beitrag „Das Rad muss nicht neu erfunden werden.“). Wer mit dem Rad zur Arbeit kommt wird als „typische:r  Radfahrer:in“ wahrgenommen und wird dann als vermeintlicher Fahrradexperte auch direkt nach einem Tipp z. B. für ein gutes E-Bike oder die Einstellung zum Fahrradhelm interviewt. Dabei ist man doch nur zur Arbeit geradelt. 

Dass ein innerer Konflikt existiert, ist nichts Schlechtes, sondern etwas Interessantes. Es zeigt, dass bei vielen ein Wunsch nach Veränderung besteht und damit auch ein erster kleiner Schritt getan ist, hin zur Verhaltensänderung. 

Die Stellung der Radmobilität, mittig zwischen der Fußmobilität und dem motorisierten Individualverkehr (MIV) und noch flankiert vom ÖPNV, erklärt die vielen Reibungsflächen. Fußgänger:innen sind wir quasi alle und der MIV ist die bislang dominierende Verkehrsart, sodass die Radmobilität, allein aufgrund ihrer Stellung dazwischen, bei den unterschiedlichen Mobilitätsarten anecken muss. Anders ausgedrückt: Die Radmobilität hat eine zentrale Stellung in der Mobilitätswende. Die Diskussionen, die hier geführt werden, um die Umverteilung des Raumes, strahlen aus in die ganz prinzipielle Frage nach der Gestaltung des öffentlichen Raums und des gerechten gesellschaftlichen Miteinander. Radmobilität ist mehr als nur Radfahren. Auch der Radentscheid hat sich immer dazu bekannt, dass die Radmobilität ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur klimagerechten, kinderfreundlichen und lebenswerten Stadt ist. Radverkehrsförderung ist also kein Selbstzweck, sondern unabdingbarer Bestandteil einer nachhaltigen Stadtplanung. Häufig wird in diesem Zusammenhang verkannt, dass Fahrradaktivisten in aller Regel nicht allein für sich selbst lobbyieren, sondern für die noch nicht radelnde Mehrheit, die zum Radfahren animiert werden soll. Ziel ist ja eben mehr Radmobilität. Die Fahrradverrückten selbst würden auch noch Fahrradfahren, wenn es gar keine Radwege gäbe. 

Wir vom Radentscheid setzen uns, wenn wir bessere Radwege fordern, vor allem für die Noch-Nicht-Radfahrenden ein, also für die, die innerlich mit Wunsch und Gewohnheit kämpfen. Die häufige Betitelung „Radfahrer fordern mehr Platz für sich“ ist vollkommen verkürzt. Wir fordern mehr Platz für die Radmobilität aller. Und nein, Fahrradaktivisten sind deshalb keine selbstlosen Heiligen, sondern Menschen die Fehler machen, auch mal unachtsam sind und auch mal gemischt in anderen politischen Ansichten. Sie sind sich aber einig, dass Radmobilität für alle gefördert werden muss für eine gute Zukunft. 

Dass Radfahren triggert, zeigt doch sehr gut, dass wir bereits in der Mobilitätswende sind. Anstatt nur die Abwehrmechanismen der Noch-Nicht-Radfahrenden zu widerlegen, können wir auf die Äußerungen auch mit unserem Interesse reagieren. „Was erstaunt Dich an meinem Radfahren zur Arbeit so?“, „Was findest Du am Radfahren gefährlich?“, „Was ärgert Dich an deinem Mobilitätsverhalten?“

Radfahren triggert und läutet Veränderung ein. Die teils radikalen Empörungen, z. B. auf den Social Media, sind sicherlich nur die Extreme. Die Mehrheit teilt den Wunsch nach einer nachhaltigen Mobilität, fühlt sich aber in ihrer Komfort-Zone durch das abweichende Verhalten gestört. Diese Mehrheit braucht eine gradlinige Politik und eine umsetzungsstarke Verwaltung, die nicht vor lauten einzelnen Extremen der Verhinderung einknickt, sondern die auch Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt. Für das erstrebenswerte Ziel einer nachhaltigen Zukunft ist die Mehrheit der Bürger:innen auch bereit persönliche Unannehmlichkeiten hinzunehmen. Die notwendige Verhaltensänderung im Mobilitätsbereich kann nicht einfach durch Appelle („Fahr doch einfach mehr Fahrrad und weniger Auto.“) erreicht werden, sie braucht eine am Ziel der klimaneutralen Stadt orientierte, konsequente Veränderung der Infrastruktur und deren Nutzungsbedingungen. Das triggert – und das wirkt.

geschrieben von Dominik

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