Ideen / Inspiration

Was Bonn von Groningen lernen kann

Groningen gilt als eine der fahrradfreundlichsten Städte weltweit. Was kann Bonn von Groningen lernen? Ich war da und habe es mir angesehen.

Erst mal kurz ein bisschen Einordnung: Groningen hat mit nicht ganz 250.000 Einwohnern etwa 75.000 Einwohner weniger als Bonn. Bezogen auf die Fläche ist Groningen mit ca. 200 km² allerdings größer als Bonn (ca. 140 km²). Durch die Lage im Norden der Niederlande ist die Stadt komplett flach. Steigungen gibt es eigentlich nur beim Überqueren der Bahngleise. Die Stadt hat mehrere Bahnhöfe, ein gut ausgebautes Busnetz, allerdings keine Straßenbahn.

Viel Radverkehr mit guten Radwegen

Hauptakteur im Groninger Verkehr ist das Fahrrad. Je nach Quelle hat das Rad einen Anteil von 50% – 60% am Verkehrsgeschehen. Das merkt man! Es sind unglaublich viele Fahrräder unterwegs und dementsprechend gibt es unglaublich gut Fahrradinfrastruktur. An jeder Autohauptverkehrsstraße gibt es baulich vom Autoverkehr getrennte Radwege, so dass der Radverkehr sicher fahren kann.

Dies gilt nicht nur für die Groninger Innenstadt. Ich bin bis an die Autobahn und ins am Stadtrand gelegene Gewerbegebiet geradelt. Auch dort gab es überall sichere Radwege. Hier ein Bild von außerhalb des Zentrums an einer zentralen Autobahnauffahrt:

Was in Groningen – wie fast überall in den Niederlanden auffällt: Hier fährt kein Radfahrer mit Helm. Die Verkehrsinfrastruktur ist so sicher gestaltet, dass dies nicht notwendig ist. In Bonn wird leider über jeden Meter Protected Bike Lane jahrelang gestritten. Dabei sind die positiven Effekte auf den Radverkehr gar nicht hoch genug zu bewerten. Fahren auf baulich vom Autoverkehr getrennten Wegen füllt sich so viel sicherer an!

Klare, verständliche Vorfahrtsregelungen

Mir fällt in Groningen auf, dass die Radwege sehr klar und eindeutig markiert sind. Dort wo Autos fahren ist der Asphalt grau, dort wo Räder fahren ist er rot. In Bereichen, in denen besondere Vorsicht geboten ist (Kreuzungen, Shared Spaces) ist der Asphalt gelb. Das ist konsequent durchgezogen und dadurch leicht verständlich.

An Kreuzungen fällt auf, dass die Vorfahrtregelung sehr intuitiv ist. Kreuzt eine Hauptroute für den Radverkehr eine Autospur, hat der Radverkehr Vorrang, was durch durchgezogenen roten Asphalt und Vorfahrt-Achten-Zeichen auf dem Boden der Autospur deutlich gemacht wird. Handelt es sich hingegen um eine Hauptroute für den Autoverkehr sind die Vorfahrt-Achten-Zeichen auf dem Radweg. So wird sofort für alle deutlich, wer Vorfahrt hat.

Aus Bonner Sicht bemerkenswert: Ja, es gibt Vorfahrt für Radfahrer auf Hauptradrouten. In Groningen scheint zu gelten: Kreuzt eine Hauptroute eine Nebenroute, hat die Hauptroute Vorrang. In Bonn gilt das nicht, wie man z.B. an der Kreuzung Bröhltalbahnweg / Rheindorfer Straße oder der Kreuzung Röckumstraße / Sebastianstraße / Magdalenenstraße sehen kann. An beiden Kreuzungen verlaufen wichtige Hauptradrouten und kreuzen Straßen, die für den Autoverkehr eher als Nebenstraßen einzustufen sind. Trotzdem hat der Autoverkehr Vorrang. Hier darf sich Bonn gerne Groningen als Vorbild nehmen!

Gute Fahrradgaragen im Zentrum

Im Groninger Zentrum gibt es drei große Fahrradgaragen. Zwei davon liegen mitten in der Innenstadt am Grote Markt und am Nieuwe Markt. Die dritte liegt am Groninger Hauptbahnhof. Zusammen bieten diese drei Garagen über 7.000 bewachte, kostenlose und rund um die Uhr zugängliche Fahrrad-Stellplätze. Alle Garagen werden rege genutzt. Ständig sieht man Menschen mit ihren Rädern herein- oder herausgehen.

Eingang zur Radgarage am Nieuwe Markt

In der Radgarage am Grote Markt – hell, sauber, bewacht

Gute Beschilderung der Radgarage am Nieuwe Markt

Insbesondere die Beschilderung fällt mir auf. In Bonn fällt insbesondere die erst vor Kurzem eingerichtete kleine Radgarage in der Stadthausgarage dadurch auf, dass sie von außen überhaupt nicht erkennbar ist. Es gibt kein einziges Hinweisschild, das darauf hindeutet, dass man in der Stadthausgarage sein Rad abstellen kann. Ähnlich sieht es beim Parkhaus Rabinstraße aus. Dort wurde nachträglich mit Hilfe eines Banners versucht, den Eingang zur Radgarage auffindbar zu machen. Von der Rabinstraße aus ist das allerdings fast nicht zu sehen. Hier hat Bonn ganz klar Nachholbedarf. Es ist toll, dass in Bonn erste Radgaragen entstehen. Sie müssen aber auch im Stadtbild erkennbar werden.

An der Ampel fahren alle gleichzeitig

Am meisten beeindruckt hat mich in Groningen das Konzept „tegelijk groen“, zu deutsch „gleichzeitig grün“. Es gibt in Groningen sehr wenige Ampeln, da diese aufgrund des geringen Autoverkehrs nur an wenigen Stellen notwendig sind. Dort, wo es Ampeln gibt, gibt es fast immer tegelijk groen. Es handelt sich um eine eigene Ampelphase für den Radverkehr, in der Radfahrer aus allen Richtungen der Kreuzung gleichzeitig grün bekommen, wodurch man z.B. viel einfacher links abbiegen kann (nur eine Ampelphase warten statt zwei). Es gibt dabei keine klaren Regeln. Das Prinzip ist: Einigt euch irgendwie. Und es klappt!

Ich habe mir das mehrmals angesehen und bin auch selbst mehrfach über eine solche Kreuzung geradelt. Meine Vermutung: Da Radfahrer auf viel engerem Raum navigieren können und zusätzlich viel leichter Blickkontakt herstellen können, klappt dieser Ansatz. Hier kurz gebremst, da noch ein kleiner Schlenker – und alle sind über die Kreuzung drüber. Es ist unfassbar, wie viele Menschen man in einer kurzen Ampelphase über eine Kreuzung bekommen kann. Mit Autoverkehr wäre das undenkbar.

„Gleichzeitig grün“ erhöht die Sicherheit für den Radverkehr enorm, da Autos und Radfahrer nie gleichzeitig grün haben – und das ohne großen Umbaubedarf für die Kreuzung. Für „Gleichzeitig grün“ braucht es letzten Endes nur eine Umstellung der Ampelschaltung und ein paar Hinweisschilder. Ich halte das Konzept für eine gute Idee für Bonn. Vorstellen kann ich mir das z.B. für Kreuzungen wie Belderberg / Bertha-von-Suttner-Platz / Sandkaule, Viktoriabrücke / Endenicher Straße / Wittelsbacher Ring oder Sebastianstraße / Clemens-August-Straße. Durch „tegelijk groen“ könnte Bonn dem Radentscheid-Ziel 3 (Große Ampelkreuzungen sicher gestalten) einen Schritt näher kommen.

Weniger Autoverkehr macht weniger Lärm

Was ich in Groningen direkt bei der Ankunft dachte: Leise hier! Dadurch, dass nur sehr wenige Autos fahren entfällt eine Menge Lärm in der Stadt. Zwar beträgt der Anteil des Autoverkehrs in Groningen je nach Quelle zwischen 20% und 30% und damit fast so viel wie in Bonn. Allerdings scheint sich der Autoverkehr hauptsächlich auf wenige Hauptverkehrsstraßen zu konzentrieren. Eine dieser Hauptverkehrsstraßen (die N7 südlich des Zentrums ) wurde gerade erst auf einer Länge von ca. 1km unter die Erde gelegt. Obendrüber ist ein Park mit Rad- und Gehwegen entstanden. Hier kann man anschaulich sehen, was in Bonn möglich sein könnte, wenn die A565 unter der Erde verschwinden würde statt vebreitert oberirdisch neugebaut zu werden.

Ein paar Pfeiler sind als Erinnerung an die ehemalige Hochstraße, die nun unterirdisch verläuft, stehengeblieben

Im Groninger Zentrum (ca. 1×1 km, in Bonn wäre das etwa Rhein bis Stadthaus und Hbf bis Beethovenhalle) fahren so gut wie gar keine Autos, da es keine Durchfahrtsmöglichkeiten gibt. Ein Befahren mit Auto ist möglich, man kommt aber immer nur zu der Seite wieder heraus, von der man in die Innenstadt hereingefahren ist.

Was mir sonst noch aufgefallen ist

In Groningen entsteht z.Zt. ein neues Wohnviertel auf dem Gelände einer alten Zuckerfabrik. Dieses Gelände wahr bisher schlecht erschlossen. Dieses Jahr gehen die Bauarbeiten für die Wohnungen los. Was bereits fertig ist: Der komplett neu und unter Bahn und Straßen hindurch gebaute Geh- und Radweg zur Anbindung ans Zentrum. Damit erst gar keine Autoabhängigkeit für die neuen Bewohner entsteht.

Geh- und Radweg aus dem künftigen neuen Wohnviertel an der Zuckerfabrik Richtung Innenstadt

Auch bemerkenswert: In allen Seitenstraßen in Wohnvierteln, durch die ich gefahren bin, parken Autos ausschließlich auf einer Straßenseite. Dadurch entsteht Platz für breitere Gehwege, mehr Grün und der Begegnungsverkehr Auto – Rad wird sicherer. Das kann ich mir als gutes Modell gerade für die Einkaufsstraßen in den Bonner Stadtvierteln (Endenicher Straße in Endenich, Pützstraße in Kessenich, Clemens-August-Straße in Poppelsdorf, …) vorstellen.

Ein letzter Punkt: Wie überall in den Niederlanden kann man in Groningen als Radfahrer ohne ständiges Geruckel fahren. An Kreuzungen werden die Radwege niveaugleich mit der Autofahrbahn geführt. Ist der Radweg auf Gehwegniveau so fahren bei Einfahrten und Einmündungen kleiner Seitenstraßen nicht die Radfahrer hoch und runter sondern die Autos. Man kann nicht genug sagen, wie sehr es radfahren angenehmer macht und vereinfacht, wenn es nicht alle paar Meter ruckelt. Ich glaube, dass solche niveaugleichen Querungen das einfachste Mittel sind, um mehr Menschen auf’s Rad zu bekommen.

An einer Kreuzung gibt es keine Bordsteinkante für den Radverkehr, sondern es geht nahtlos auf einer Ebene weiter.

Fazit: Viel ist auf Bonn anwendbar!

Groningen ist in Bezug auf den Radverkehr – wie die gesamten Niederlande – meilenweit vor Deutschland und auch vor Bonn. Das macht Groningen zu einem tollen Anschauungsobjekt (wie auch andere niederländische Städte wie Utrecht oder Maastricht, über die ich ebenfalls schon geschrieben habe). Eine gute Inspiration für Bonn können für mich insbesondere die Gleichzeitig-Grün-Kreuzungen sein, da sie ohne großen Umbau umsetzbar sind und trotzdem die Sicherheit für den Radverkehr enorm erhöhen.

geschrieben von Martin P.

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