Mobilität

Kann nicht einfach alles bleiben, wie es ist?

Gewohnheiten zu ändern, ist schwierig und braucht viel Zeit, das gilt auch für Mobilitätsgewohnheiten. Wer sich ändern soll, ohne es selbst zu wollen, fühlt sich schnell übergangen. Wie kann diesen Gefühlen begegnet werden?

Mobilität ist Gewohnheitssache

Mit dem Auto zur Arbeit, zum Einkaufen, zu Freizeitaktivitäten zu fahren oder die Kinder zur Schule zu bringen, ist für viele Menschen ein völlig alltäglicher Vorgang, den sie nicht hinterfragen. Nehmen wir das Beispiel Lebensmitteleinkauf. Wenn jemand bisher für das Einkaufen von Lebensmitteln ausschließlich das Auto genutzt hat, dann ist der Vorgang „Einkaufen“ so eng mit dem Verkehrsmittel Auto verbunden, dass schon der Gedanke daran, Brötchen zu holen, die Suche nach dem Autoschlüssel auslöst – selbst wenn der Bäcker nur einen dreiminütigen Fußweg entfernt liegt. Eine Gewohnheit also. Gewohnheiten machen es uns im Alltag einfach, denn wir verbringen dadurch weniger Zeit damit, Vor- und Nachteile verschiedener Optionen zu erwägen, zu bewerten und eine Entscheidung zu treffen. Es ist für uns alle nicht nur bequem, im Alltag Gewohnheiten zu haben, sondern sogar nützlich, da wir Zeit sparen und uns auf wichtige Dinge konzentrieren können.

Warum die Verkehrswende mehr Psycholog*innen braucht

Wenn es darum geht, das Mobilitätsverhalten zu verändern, sind Gewohnheiten allerdings ein großes Hindernis. Sie zu ändern, ist schwierig und zeitaufwändig. Es reicht nicht, einen gewohnten Vorgang ein- oder zweimal anders zu machen. Es gibt unterschiedliche Angaben dazu, wie oft eine Tätigkeit eingeübt werden muss, um zu einer Gewohnheit geworden. Forschende gehen davon aus, dass es im Durchschnitt 66 Tage dauert, eine neue Gewohnheit zu entwickeln – bei komplexen Verhaltensänderungen kann es sogar noch länger dauern (siehe zum Beispiel diese Studie https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/ejsp.674).

Der Wille zählt

Individuelle Mobilität zu ändern ist also eine langfristige Angelegenheit: es braucht viel Zeit, aber noch eine weitere wichtige Voraussetzung. Wer schon einmal mit dem guten Vorsatz ins neue Jahr gestartet ist, eine Sache mehr bzw. weniger oder überhaupt nicht mehr zu tun weiß, wie schwer es sein kann, ein neues Verhalten in den Alltag zu integrieren und beizubehalten. Für manchen zunächst Motivierten („Ab jetzt wird es anders“) endet der Aufbruch in ein sportlicheres, rauchfreies oder sonstwie gesünderes Leben oft schon nach kurzer Zeit. Und das, obwohl die erste und wichtigste Voraussetzung für eine Verhaltensänderung sogar vorhanden war: der Wille, etwas zu ändern.

Das eigene Mobilitätsverhalten reflektieren

Mit Blick auf die Verkehrswende in Bonn sind Veränderungen geplant, die viele Menschen betreffen werden. Darunter sind Änderungswillige, die vielleicht nur auf den letzten Anstoß warten, um das Fahrrad aus dem Keller zu holen und loszuradeln oder öfter kurze Wege zu Fuß zu gehen. Aber auch diejenigen werden betroffen sein, die ihr Mobilitätsverhalten nicht hinterfragen und bisher nicht bereit sind, das Auto weniger oft zu nutzen. Wenn aber der Wille zur Veränderung fehlt, ist eine Verhaltensänderung kaum möglich. Schlimmer noch, es entstehen Wut und das Gefühl, übergangen zu werden. Der Weg zu einer Erzählung, die Veränderungen im Verkehr seien nicht demokratisch beschlossen, ist da nicht weit. Vielleicht entsteht sogar Angst davor, wie es sich auf die eigene Lebenssituation auswirken wird, wenn etwa in der eigenen Straße weniger Parkplätze zur Verfügung stehen, oder der gewohnte Weg zur Arbeit bald über eine Fahrradstraße führt.

Wer das Auto als Standardverkehrsmittel nutzt, kann sich vielleicht nicht vorstellen, wie es ohne gehen kann. Haben wirklich alle, die über sich sagen „ich bin auf das Auto angewiesen“, keine Alternative? Oder geht es darum, dass das Bewusstsein über Alternativen zum eigenen Auto und Informationen darüber fehlen? Darum, dass es noch nicht probiert wurde, weil bisher keine Veranlassung dazu bestand? Dabei werden die eigenen Gewohnheiten als selbstverständlich erachtet, eine Reflektion darüber, ob sie aus einer Bevorzugung des Verkehrsmittels Auto gegenüber nachhaltigen Verkehrsmitteln entstanden sind, kann nicht stattfinden.

Gesellschaftliche Denkprozesse anregen

Wie können diese Menschen mitgenommen werden? (Sicher, beim letzten eingeschworenen Autofan wird es vermutlich schwer werden. Es geht auch nicht darum, jede und jeden Einzelnen zu überzeugen, aber um die Frage, wie Menschen so angesprochen werden können, dass sie sich weder bevormundet noch gezwungen fühlen). Wie ist ein gesellschaftlicher, sachlicher und konstruktiver Austausch möglich, der zu einem Nachdenken führt: über die Platzverteilung in der Stadt, die Privilegien für den motorisierten Verkehr und dessen Auswirkungen auf Luft, Gesundheit und Umwelt im Angesicht der Klimaveränderung?

Eine Antwort darauf kann ich nicht geben, vielmehr braucht es dafür Fachleute: Psychologinnen, Sozialwissenschaftler, Kommunikationsexpertinnen, Journalisten, Influencer, die grundlegende Informationen zusammenstellen, warum die Verkehrswende wichtig für uns alle ist. Die nachhaltige Mobilitätsangebote erläutern, leicht verständlich für verschiedene Zielgruppen aufbereitet. Nur wer Alternativen zum Auto auch wirklich kennt, kann sich dafür entscheiden. Und damit ist nicht gemeint, darüber aufzuklären, dass es Fahrräder gibt, sondern wie leicht es ist, ein Mietfahrrad zu buchen, um damit auf dem zukünftigen sicheren Radroutennetz in Bonn ans Ziel zu kommen. Oder wie sich mit einer App herauszufinden lässt, von welcher Haltestelle welcher Bus wann wohin fährt, und welche einfach zu buchenden Ticketsysteme es gibt – und wenn es nicht so leicht und intuitiv ist, wie es sein sollte, dann sollten Mobilitätsanbieter mit Hilfe der Psychologinnen, Sozialwissenschaftler, Kommunikationsexpertinnen daran arbeiten, das zu ändern.

Nein, es kann nicht so bleiben

Was nicht helfen wird, sind Versprechungen, alles könne bleiben, wie es ist. Wer vorgaukelt, man müsse nur genügend Ausweichflächen in Form von Quartiersgaragen oder ähnlichem bauen, dann könnten alle weiter so viel Auto fahren wie bisher (aber ohne Stau), ignoriert gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse und betreibt Populismus. Demokratisch legitimierte Verkehrspolitik in Bonn richtet sich bereits seit der Entscheidung im Stadtrat aus dem Jahr 2019 (unter OB Sridharan) an dem Ziel aus, den Anteil des Autoverkehrs weiter zu reduzieren (mehr dazu hier: https://www.radentscheid-bonn.de/blog/verkehrswende-ja-aber-bitte-nicht-mein-auto-anfassen/). Die Polarisierung der Gesellschaft und der Diskussion entsteht erst durch die Stimmen, die sich nicht mit den Fakten auseinandersetzen und die Angemessenheit von Privilegien für den motorisierten Verkehr (von Dieselsubvention bis kostenlosem Parken) nicht hinterfragen wollen. Sicher, es mag hart und unangenehm sein, sich einzugestehen, dass es nicht weitergehen kann wie bisher. Die Frage ist, woran sich Verkehrspolitik ausrichten sollte: an den lieb gewonnenen Gewohnheiten der Menschen, oder an Verkehrssicherheit, Luftqualität und Klimaschutz? Als gebildete und aufgeklärte Gesellschaft sollten wir in der Lage sein, Fakten zu verstehen und zu reflektieren, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Mit Unterstützung von Kommunikationsexpert*innen gelänge das sogar noch besser.

geschrieben von Sonja

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