Zuerst einmal ist es in unseren Augen sehr positiv, dass ein solch wichtiges, umfangreiches und langfristiges Projekt wie der Radentscheid in einem Bericht transparent dargestellt wird. Im siebten Ziel des Radentscheids ist diese Transparenzforderung und ein jährlicher Bericht mit Diskussion in den politischen Gremien und in einer Bürgerversammlung festgeschrieben. Der Bericht liegt vor. Und die Bilanz lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
In zwei Jahren (2021/22) wurden
– die Netzplanung für Haupt- und Nebenrouten erarbeitet und gleichzeitig mit dem Transparenzbericht öffentlich vorgestellt. Bald geht sie in die politischen Gremien.
– 6,6 km Radwege, Radstreifen, Umweltstreifen oder Fahrradstraßen gebaut bzw. markiert.
– 2 Einmündungen niveaugleich, wie im Radentscheid beschlossen, umgebaut.
– 704 Fahrradabstellplätze eingerichtet, davon sind 120 überdacht und 21 in abschließbaren Boxen.
Bisher wurde keine Kreuzung entsprechend der beschlossenen Standards realisiert.
Liebe Stadt, das ist wenig. Gemessen an den geforderten 15 km Radwege jährlich liegen wir bei 22 %. Und das ist noch der höchste Wert. Bei den Kreuzungen 0%, bei den Einmündungen 5 % und bei den Abstellplätzen 12 %. Selbst wenn man einrechnet, dass man nicht direkt nach dem Beschluss mit dem Bauen loslegen kann, weil viele Projekte eine lange Planungszeit haben, ist das wenig. Und trotzdem spricht der Bericht bei dem Bau der Radwege über eine Steigerung von über 260 % gegenüber den Vorjahren. Das ist vielleicht ein Hinweis, warum so unglaublich viele Menschen unser Bürgerbegehren unterschrieben haben.
Aber schauen wir in die Zukunft. Da weist der Bericht einiges auf: 2,3 km Radstreifen auf der Ost-West-Achse zwischen Bertha-von-Suttner-Platz und Endenich sind in Planung. 2,2 km auf der Nord-Süd-Achse vorwiegend auf der Adenauerallee. 1 km ist im Innovationsdreieck Immenburgstraße geplant. Und ein weiterer Teil der 2012 beschlossenen Fahrradstraßen, zusammen 23 km, sollen markiert werden. Dazu kommen kleinere Lückenschlüsse. In der Summe sprechen wir von annähernd 30 km – das Pensum von 2 Jahren Radentscheid.
Aber wie wahrscheinlich ist, dass auch Realität wird, was jetzt in verschiedenen Planungsstadien ist? An dieser Stelle zeigt der Transparenzbericht eine der großen Schwächen des Prozesses auf: Es gibt keine Verbindlichkeit für zukünftige Umsetzungen. Vieles braucht noch die Zustimmung und das Mitwirken von Ämtern und Firmen und alles einen gesonderten politischen Beschluss. In manchen Stadtteilen muss sogar jeder einzelne Fahrradständer in der Bezirksvertretung beschlossen werden. So stehen die 30 km zwar als breiter Balken in einem Schaubild im Bericht, allein bei der Jahreszahl scheint ein Fehler unterlaufen zu sein. Dort steht „2023+“. Aber plus was? Ein Jahr? Fünf Jahre? Eine Ewigkeit? Legt man einen harten Maßstab an, was geplant und beschlossen ist, so dass es bald umgesetzt werden kann, dann bleibt kaum etwas übrig.
Also müssen wir die 30 km realistisch nehmen. Schauen wir uns vielleicht ein Vorgängerprojekt an. Eine der zuletzt umgesetzten Maßnahmen beruhen auf den Beschlüssen, im Rahmen des europäischen Förderprogramms „Emissionsfreie Innenstadt“ über 6 km Radwege auszubauen. Das war politisch beschlossen und die Förderzusagen lagen vor. Leider ließen sich nur 1,8 km davon realisieren. Partikularinteressen beim Grundstückerwerb oder unterschiedliche Ansichten beim Naturschutz waren die Haupthindernisse. 30% von mehrheitlich im Rat beschlossenen und finanzierten Maßnahmen wurden Realität. Die Realität in Form eines um einen Meter verbreiterten Rheinauenradweg.
Neblige Aussagen finden sich im Transparenzbericht bei den Ausführungen darüber, wie Geh- und Radwege nutzbar gehalten werden. Es wird überlegt, „inwieweit die Kapazitäten für den Winterdienst ausgebaut werden sollen“. Bei der Baustellenführung „orientiert man sich an der Straßenverkehrsordnung“. An anderer Stelle steht: „Hierunter fallen eine sichere und gleichberechtigte Baustellenführung des Fuß- und Radverkehrs.“ Und bei der Parkraumüberwachung wurden „keine ergänzenden Maßnahmen getroffen, da sich die Parkraumüberwachung bereits zuvor gleichermaßen auf Geh- und Radweg konzentriert hat.“ Scheinbar ist schon alles gut. Es wird in diesem Kapitel an keiner Stelle angedeutet, dass man eine Gleichbehandlung von Fuß-, Rad- und Autoverkehr anstrebt, was wirklich wichtig wäre. Weder bei Bonn Orange, noch bei der Baustelleneinrichtung oder beim Ordnungsamt. Es bleibt beim Primat des Autos.
Der Bericht legt in seinem Fazit dar, dass man zwar versucht habe, die erforderlichen Ressourcen und Strukturen zu schaffen sowie die Planungsprozesse zu beschleunigen. Bis heute sind aber nicht alle der geschaffenen Stellen besetzt, weil es an Bewerber*innen mangelt. Daher kommt die Verwaltung zu dem Schluss: „Dort, wo die Zielumsetzung des Radentscheid jedoch mit größeren Umplanungen verbunden ist, werden die zeitlichen Fristen des Bürgerbegehrens auch zukünftig nicht eingehalten werden können. Die Stadt Bonn erarbeitet daher derzeit einen Umsetzungsfahrplan. Hierin soll unter Berücksichtigung der oben genannten Faktoren ein ambitionierter, aber angepasster Zeitplan für die Umsetzung der Radentscheid Maßnahmen erarbeitet und mit der Politik abgestimmt werden.“ Und hier macht der Transparenzbericht was er verspricht. Er macht offensichtlich: Auch nach mehr als zwei Jahren seit dem Beschluss des Radentscheids gibt es keinen Plan für dessen Umsetzung. Schon lange warten wir auf diesen Umsetzungsplan und es wäre das Mindeste gewesen, sich hier endlich mal ein verbindliches zeitliches Ziel zu setzen.
Aber ich will positiv enden, denn der Transparenzbericht erfüllt wirklich seine Funktion: Er macht transparent. Abgesehen von ein paar Ungenauigkeiten und dem sicher berechtigten Anliegen, die positiven Dinge herauszustellen, zeichnet der Bericht ein realitätsnahes Bild.
Daher ist klar, dass einige gute Planungen auf dem Tisch liegen. Jetzt liegt es an der Politik, diese den Bürger*innen zu vermitteln und ihnen die Mehrheiten bei der Beschlussfassung zu geben. Das wird nicht einfach, weil es um Umverteilung geht, die Emotionen weckt. Aber wir erinnern immer wieder an die fraktionsübergreifende Unterstützung beim Beschluss des Radentscheids. Damals war es ein Grundsatzbeschluss. Jetzt geht es um die Realisierung. Jetzt muss sich zeigen, wer seinen Worten Taten folgen lässt.Und es gibt einen weiteren positiven Aspekt: Durch den Radentscheid sind die Bedürfnisse der Radfahrenden in klaren Zahlen von Ausbaustandards und -mengen formuliert worden. Das macht etwas in den Diskussionen in Verwaltung und Politik. Wir haben den Eindruck, dass die Diskussionen konkreter werden und der Radverkehr sich nicht mehr so leicht zurückstellen lässt. Vor dem Radentscheid wäre ein Fahrradstreifen auf der Oxfordstraße undenkbar gewesen. Jetzt ist das Thema präsent. Und das ist gut so. Nur mit ausreichend guten, durchgängigen, sicheren und intuitiv zu nutzenden Radwegen wird sich der Verkehr der Zukunft mit einer menschenfreundlichen Stadt verbinden lassen.