Mobilität

Hassen Verkehrswende-Befürworter Autos?

Nein, wir vom Radentscheid hassen keine Autos. Trotzdem bekommen wir es oft zu hören. Was steckt dahinter?

Die aktuelle Bonner Verkehrspolitik wird von manchen als Bevorzugung des Radverkehrs gesehen. Dies geht so weit, dass sogar “Autohass” vorgeworfen wird. Dabei geht es lediglich um den Abbau von Privilegien und eine gerechtere Aufteilung des öffentlichen Raumes. Mit Hass hat das nichts zu tun.

Kürzlich wurde ich auf Social Media als “Autohasser” bezeichnet. Was war geschehen? Nachdem ein Taxifahrer sich in der Lokalzeitung über ein Knöllchen wegen Falschparken beschweren durfte, schlug ich die Einrichtung von Lieferzonen in jeder Straße vor, die auch von Taxen genutzt werden könnten. Dabei wies ich darauf hin, dass dies am einfachsten ginge, indem man in jeder Straße zwei bis drei bestehende Parkplätze zu einer Lieferzone umwandelt. Das reichte aus, damit mich jemand als “Autohasser” bezeichnete.

Verschiedene Sichtweisen: Fahrrad, zu Fuß, ÖPNV, Auto

Ich hasse keine Autos. Ich besitze zwar selbst keins, da es sich für mich finanziell einfach nicht lohnt. Trotzdem fahre ich doch mindestens einmal pro Monat per Carsharing Auto und bin dann auch recht froh darüber, dass es Autos gibt. Z.B. für Besuche von Freunden irgendwo im Siebengebirge, für die Fahrt zu einer Hochzeit irgendwo in der Eifel oder einfach nur, weil ich im Baumarkt viel Zeug für den Garten besorgen möchte. Es gibt eine Reihe Anwendungsfälle für mich, für die Autos eine gute Lösung sind.

Was mich von dem Menschen, der mich als “Autohasser” bezeichnet hat, offensichtlich unterscheidet, ist die Tatsache, dass ich neben der Autofahrerbrille auch immer wieder die Radfahrer-, die Fußgänger- und die ÖPNV-Nutzer-Brille trage, wenn ich mich durch unsere Stadt bewege. Nimmt man diese unterschiedlichen Perspektiven regelmäßig ein, wird man schnell feststellen, dass der Raum in unseren Straßen sehr einseitig zugunsten des Autos verteilt ist. Und das führt zu Gedanken, ob das so richtig ist.

Beispiel Drususstraße

Ich möchte dies am Beispiel einer Bonner Straße verdeutlichen: der Drususstraße in Castell, einer eher ruhigen Anwohnerstraße ohne Durchgangsverkehr. Schauen wir uns zwei Fotos der Straße an:

Um diese Fotos einordnen zu können sollten wir uns ansehen, welche Bedarfe an eine solche Straße typischerweise gestellt werden:

  • Menschen, die mit dem Auto fahren, möchten dort durchfahren können.
  • Menschen, die zu Fuß gehen, möchten die Straße entlang gehen können. Dies betrifft auch Menschen mit Kinderwagen, Menschen mit Einkaufstrolleys oder mobilitätseingeschränkte Personen mit Rollator oder Rollstuhl.
  • Radfahrende Menschen möchten durch die Straße fahren können.
  • Menschen, die ein Auto, aber keinen privaten Stellplatz besitzen, möchten dieses parken. Gleiches gilt für Firmenfahrzeuge in der Straße ansässiger Unternehmen.
  • Menschen, die ein Fahrrad, aber keinen privaten Stellplatz besitzen, möchten dieses parken. Gleiches gilt für Räder in der Straße ansässiger Unternehmen.
  • Handwerker sowie Lieferdienste möchten ihre Fahrzeuge kurzzeitig in der Nähe ihrer Kunden abstellen (Lieferzonen).
  • Anwohner*innen möchten, dass ihre Kinder draußen, und damit auch im Bereich der Straße, sicher spielen können. Dazu möchten Anwohnende u.a., dass Autos nicht zu schnell fahren.
  • Polizei, Rettungswagen und insbesondere Feuerwehr möchten ausreichend Platz, um im Notfall die Straße passieren zu können.
  • Um sich an den Klimawandel anzupassen, möchte die Stadt mehr Bäume pflanzen und Flächen entsiegeln, um dadurch der Aufheizung der Stadt entgegenzuwirken.

Zeigen die Fotos einen guten Kompromiss?

Nun schauen Sie sich nach der Lektüre dieser – bestimmt nicht vollständigen – Anforderungen die obigen Fotos der Drususstraße noch mal an und stellen sich die Frage, ob all diese Interessen bei der aktuellen Nutzung dieser Straße berücksichtigt werden. Diese Frage kann man nur mit “Nein” beantworten.

In der Drususstraße ist der Gehweg auf der einen Seite durch gekipptes Autoparken so schmal, dass zufussgehende Menschen mit Kinderwagen o.ä. diesen nicht verwenden können (erstes Foto rechte Seite). Ein Queren der Straße, um ein Gebäude auf der anderen Seite zu erreichen, ist aufgrund der durchgehend beparkten Straße erschwert. Radfahrende fahren durch die beidseitig geparkten Autos und die recht schmale Fahrbahn eigentlich immer in der gefährlichen Dooring-Zone. Fahrradabstellplätze existieren im öffentlichen Raum der Straße überhaupt nicht. Auch eine Lieferzone sucht man vergeblich. Für Autoparkplätze hingegen wird sehr viel Platz eingeräumt. Im zweiten Foto sieht man sogar platzraubende Schrägparkplätze, denen offensichtlich Vorrang vor einem Radweg, Fahrradbügeln zum Abstellen von Fahrrädern gegeben wurde.

Stadtbezirk Bonn: die Hälfte der Haushalte ohne Auto

Wenn ich Ihnen jetzt noch sage, dass im Stadtbezirk Bonn fast die Hälfte aller Haushalte (46%) gar kein Auto besitzt, dann wirken die Fotos der Drususstraße nochmal einseitiger.

Natürlich sind einige der genannten Interessen gegenläufig und somit nicht vollständig umsetzbar (z.B. möglichst viel Autoparkraum vs. breite Gehwege oder Parkplätze vw. Lieferzonen). Es muss ein Kompromiss gefunden werden, der möglichst viele Interessen berücksichtigt. Die Drususstraße zeigt, dass in Bonn in den letzten Jahrzehnten dieser Kompromiss nicht gesucht wurde. Straßen wurden einseitig zugunsten der Interessen der Autofahrenden gestaltet und genutzt. Andere Interessen wurden nur nachrangig oder überhaupt nicht berücksichtigt.

Lösung: Straßenraum neu aufteilen

Bonn möchte die Verkehrswende umsetzen. Der Anteil des Fuß- und Radverkehrs sowie des ÖPNV sollen steigen. Dafür brauchen wir passende Infrastruktur. Das sind nicht nur neue Stadtbahnlinien und Radwege durch die Rheinaue. Wir müssen auch über die Neuverteilung des bestehenden Straßenraums sprechen.

Wie können wir den vorhandenen – und begrenzten – Straßenraum so verteilen, dass die Interessen aller berücksichtigt werden? Wenn wir diese Neuverteilung vornehmen, werden mehr Menschen auf alternative Verkehrsträger umsteigen, weil sie merken, dass diese durch ernstzunehmende Infrastruktur angenehmer für sie zu nutzen werden. 

Weiteres Beispiel Niebuhrstraße

Die Drususstraße habe ich als Beispiel genommen, da sie besonders negativ hervorsticht. Aber auch in vielen anderen Bonner Straßen kann man sich fragen, ob dort wirklich ein guter Kompromiss aller Interessen gefunden wurde.

Dieses Foto zeigt die Niebuhrstraße in der Südstadt. Auch hier hat man sich für platzraubende Schrägparkplätze und gegen einen Radweg oder Fahrradbügel entschieden. Ich habe in der gesamten Niebuhrstraße keine einzige Möglichkeit zum Parken eines Fahrrades gesehen. 

Da die Schrägparker aber anscheinend noch nicht ausreichend, hat man dann auch noch auf der anderen Seite den Gehweg auf die absolute Mindestbreite halbiert, damit noch mehr Autos parken können. Bäume oder anderes Grün sieht man hier – außer auf privaten Grundstücken – gar keine. Auch die Niebuhrstraße wird maximal einseitig für die Interessen der autofahrenden Bevölkerung genutzt.

Beispiel Adenauerallee

Dieses Foto zeigt die zur Zeit heiß diskutierte Adenauerallee. Auf der linken Straßenseite liegt das Beethovengymnasium. Wurden hier bei der Straßengestaltung wirklich die Interessen einer Schule in irgendeiner Form berücksichtigt? Nein. Sogar die Bushaltestelle engt den Gehweg ein – und das direkt vor der Schultür. Dieses Foto zeigt deutlich, dass die oberste Maxime bei der Gestaltung dieser Straße der Durchsatz an Autos war. Und das ist maximal einseitig. Auch wenn es sich bei Adenauerallee um eine Bundesstraße handelt, so gibt es dort trotzdem Interessen von nicht-Autofahrenden, die ebenfalls Berücksichtigung finden müssen.

Die wirklich katastrophale Radinfrastruktur in diesem Foto lässt sich eigentlich fast gar nicht als solche bezeichnen. Der Schutzstreifen hat keinen Abstand zu den parkenden Autos, so dass Radfahrer in die Dooringzone gezwungen werden. Außerdem verleiten die zwei Autospuren dazu, dass Autofahrer auf der rechten Spur Radfahrende mit deutlich zu wenig Abstand überholen – wie ich heute beim Befahren der Straße erst wieder mehrmals erfahren musste (sonntags bei wenig Verkehr). Die Interessen der Radfahrenden wurden bei der Gestaltung der Adenauerallee ignoriert und später durch Hinzufügen des schlechten Schutzstreifens zu reparieren versucht.

Ist es Autohass, die Interessen aller zu berücksichtigen?

Wenn ich also fordere, Parkplätze in Lieferzonen umzuwandeln oder gekipptes Parken auf viel zu schmalen Gehwegen abzuschaffen, dann ist das kein Autohass, sondern der Wunsch nach der Berücksichtigung der Interessen aller. Natürlich fühlt sich die Reduktion von Parkplätzen aus Sicht von Menschen, die sich ausschließlich mit dem Auto fortbewegen, ungerecht und falsch an. Das liegt aber nicht daran, dass autofahrende Menschen benachteiligt werden sollen, sondern dass autofahrende Menschen bisher über sehr große Privilegien verfügten (siehe Beispiel Drususstraße), die nun in Frage gestellt werden, um einen wirklichen Kompromiss zwischen den Interessen aller zu erreichen.

Wir werden die Ziele der Verkehrswende nicht erreichen, indem wir die aktuelle Straßeninfrastruktur so lassen, wie sie ist. Dazu nimmt sie durch jahrzehntelange Privilegierung schlicht zu viel Platz ein und lässt zu wenig Raum übrig für die anderen Verkehrsteilnehmer. Die medienwirksam und mit viel Geld gestartete Kampagne der Bonner Wirtschaftsverbände sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Wirtschaftsverbände nur ein Interessensträger unter vielen in der Frage der Gestaltung des öffentlichen Raums sind. Anwohnende, Kinder in Schulen und Kitas, die Anpassung an den Klimawandel sind nur einige weitere Interessenträger, die auch Berücksichtigung finden müssen.

Abbau von Privilegien des Autoverkehrs

In den Bonner Medien und Teilen der Politik und Wirtschaft wird z.Zt. eine Bevorteilung des Radverkehrs gesehen. Ich halte dies für die Folge einer schiefen Wahrnehmung. Was in Bonn gerade passiert, ist der Abbau von Privilegien autofahrender Menschen zugunsten anderer Verkehrsarten. Um in den wenigen bisher umgesetzten Maßnahmen zur Verbesserung der Fahrradinfrastruktur eine einseitige Bevorzugung des Radverkehrs zu sehen, muss man schon eine sehr starke Autofahrerbrille aufsetzen.

Parken als berechtigtes Interesse unter vielen anderen

Nun höre ich beim Schreiben schon den Aufschrei: “Wo sollen die Leute denn dann parken?” Damit keine Missverständnisse entstehen: Ich halte das Interesse von Autobesitzern, ihr Auto irgendwo abzustellen, für berechtigt. Ich sehe nur nicht ein, wieso wir als Gesellschaft dieses Interesse über alle anderen stellen sollten. In den letzten Jahrzehnten wurden Interessen wie z.B. Fahrradparken, ausreichend breite Gehwege und auch Lieferzonen für den Wirtschaftsverkehr fast vollständig ignoriert, während Autoparken überall ermöglicht wurde wo es nur irgendwie ging – auf Kosten der anderen Interessenlagen. Ja, wir sollten Autoparkplätze im öffentlichen Raum vorhalten. Aber es können nur so viele sein, so dass auch alle anderen Interessen in der Straße ihren Raum finden.

Bauen wir unsere Stadt so um, dass der Straßenraum nicht einseitig den Interessen der Autofahrenden genügt. Dann erreichen wir auch eine Verkehrswende hin zu mehr Fuß- und Radverkehr sowie mehr ÖPNV-Nutzung. Es reicht nicht, tolle neue Stadtbahnlinien zu bauen oder den Busverkehr durch Umweltspuren zu beschleunigen, wenn der Fußweg zur Haltestelle durch Gehwegparken ein Hindernisparcour bleibt.

geschrieben von Martin P.

2 Kommentare

  • Christine sagt:

    Danke für den tollen Artikel mit den anschaulichen Beispielen. Eine Gruppe wird mir immer wieder vergessen und das sind unsere Radfahrenden von morgen: Kinder zwischen 4 und 8 Jahren müssen auf dem Gehweg fahren und brauchen dort auch ausreichend Platz, denn sie sind oft noch etwas wackelig und slalomfahrend unterwegs. Man muss sie langsam an den Straßenverkehr heranführen, wenn sie später sichere Radfahrende werden sollen.

  • Maria S. sagt:

    Danke für den guten Artikel. Ich als Autofahrerin möchte hinzufügen, dass das Umwandeln von Parkplätzen in Lieferflächem und Grünflächen nicht nur den Radfahrenden und Fußgänger*innen zu Gute kommt, sondern auch den meisten Autofahrenden. Die Drususstrasse ist hierfür ein gutes Beispiel- ein Abbau der Parkplätze nimmt einigen Anwohner*innen und Besucher*innen zwar Parkmöglichkeiten, alle anderen (auch die Autofahrenden!) profitieren aber davon. Aktuell werden nämlich alle, die diese Straße (mit dem Auto, Krankenwagen, LKW) befahren oder eine Lieferung erwarten täglich durch die parkenden Autos behindert.

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